Buch und Blog
Die Konsonanten beim Singen
Die Konsonanten des Chorsängers und die Konsonanten des Solisten
Eigentlich sollte man annehmen, dass eine deutliche Aussprache eine deutliche Aussprache ist, egal von wem und bei welcher Gelegenheit. Tatsächlich aber ist der Unterschied zwischen dem, was Chorsänger und dem, was Solisten tun müssen, damit man ihren Text gut versteht, ziemlich groß. Gut: Klare und eindeutige Vokale müssen immer sein – solange das die Tonlage zulässt (die Vokale auf den hohen Tönen der Frauenstimmen oberhalb von ungefähr f‘‘ hören sich halt alle ziemlich ähnlich an).
Aber die Konsonanten!
Ein Solist sollte – um textverständlich zu sein – besonders die stimmhaften Konsonanten wie l, m, n in der Mitte und am Ende der Worte deutlich und eher etwas länger klingen lassen. Explosivlaute wie die im chorischen Einsingen seltsamerweise so beliebten p, t, k sind meistens kurz und stark. Falls man nach einer Phrase (oder auch mal kurz mittendrin) atmen muss, der Komponist aber leider keine Pause dafür vorgesehen hat, dann kürzt man den Ton eher etwas ab, so dass man auf dem ersten Ton der nächsten Phrase wieder pünktlich da ist. Man darf da also tatsächlich einen Notenwert verkürzen, um wieder Luft zu kriegen! Ist ja auch eigentlich klar – allerdings nicht, wenn man ans Singen im Chor gewöhnt ist.
Da funktioniert das nämlich anders. Da ist es fast völlig egal, wann man Luft holt: Wenn es jeder an einer anderen Stelle tut, wenn nötig mitten in einer Phrase oder sogar mitten in einem Wort, kriegt es der Zuhörer eh nicht mit (man nennt das „chorisches Atmen“). Wenn man nicht rechtzeitig für die neue Phrase da ist: was soll’s – dann kann man sich ein bisschen später wieder einfädeln. Was man aber als Chorsänger nie machen darf, ist eben das, was für den Solisten notwendig ist, um für die neue Phrase wieder rechtzeitig da zu sein, nämlich den Ton verkürzen und die Konsonanten früher sprechen – besonders nicht bei den leisen Stellen. Denn wenn im Chor jeder seine Endkonsonanten (besonders die Explosivlaute) nur ein winziges kleines bisschen früher spricht, dann kommt z. B. bei einem Text wie dem lateinischen Messetext „Lux aeterna luceat eis“ (Das ewige Licht leuchte ihnen) ein schreckliches Gezische heraus: Luxxx aeterna luceattt eisss.
Wenn jemand sowohl im Chor als auch solistisch singt, ist das jedes Mal eine ziemliche Umstellung. Aber es lohnt sich, daran bewusst zu denken, denn wenn man das durcheinander bringt, hört es sich in beiden Fällen schlecht an. Der Chor zischt und hustet, weil die s, z, x und die p, t, k jeweils nicht zur gleichen Zeit, sondern als sss, ppp, … zu hören sind.
Und der Gelegenheitssolist, der die für den Chor richtige Angewohnheit, eine Silbe nie zu früh abzusprechen, für seinen Soloauftritt nicht ablegt, wird ständig zu spät atmen, auf diese Weise das Tempo verzögern und so den Dirigenten oder seinen Pianisten zur Verzweiflung treiben.
Also ich wünsche in jedem Fall gutes Gelingen!
Ein bisschen Akustik für Sänger
Die Akustik eines Raumes kann für Sänger leicht zum Problem werden. Entweder sie ist zu trocken, die Stimme klingt im Raum nicht richtig – dafür kann man seine Stimme ganz gut kontrollieren. Oder der Hall ist (z. B. in Kirchen) sehr stark, dann klingt die Stimme eventuell größer als sie ist, kleinere Fehler verschwinden im Hall, aber man selber hört die eigene Stimme nur aus dem Raum und hat gar keine richtige Gehörkontrolle.
In diesem Blog will ich aber jetzt nicht darauf eingehen. Mir geht es um die innere Akustik des Instrumentes Mensch. Darüber steht erstaunlich wenig in Gesangslehrbüchern. Wahrscheinlich, weil man mit dem Instrument Mensch nicht so leicht wissenschaftliche Untersuchungen anstellen kann. Von einer Trompete oder einem Cello weiß man natürlich, wie sie funktionieren, denn sie sind ja von Menschen gebaut worden. Man kann mit ihnen experimentieren. Zwar hat es auch schon Experimente mit Leichenkehlköpfen gegeben – aber na ja, was soll man sagen: als ob das Instrument Mensch etwas Totes wäre und nur aus Kehlkopf bestünde!
Die menschliche Stimme funktioniert ungefähr wie eine Trompete (allerdings nicht mit der gleichen Atemtechnik!). So wie bei der Trompete die Lippen des Spielers den Ton erzeugen, so tun es beim Sänger die Stimmlippen. Nun können menschliche Stimmen auf dem gleichen Ton bekannterweise sehr unterschiedlich klingen. Woran liegt das? Manchmal hört man, das läge am Raum, der „Röhre“, die einem Sänger zur Verfügung steht. Manche hätten eben eine größere Röhre und andere nicht. Dabei wird ganz vergessen, dass ein klassisch ausgebildeter Sänger auch „anders“ singen kann. Und so gravierend kann sich die „Röhre“ eines Sängers nicht verändern. Was sich aber gravierend verändern kann, ist der innere Zustand dieser Röhre. Die Form der Röhre ist vielleicht verantwortlich für die Unterschiede bei den unterschiedlichen Klangfarben verschiedener Sängerstimmen. Bei der Stimme eines einzelnen Sängers entstehen die Klangfarbenunterschiede aber durch den Zustand der Röhrenwände. Die sind nämlich beim Menschen im Unterschied zur Trompete veränderlich. Der Innenraum des Instrumentes menschliche Stimme besteht zu einem großen Teil aus mit Schleimhäuten überzogenen Muskeln. Die können die „Röhre“ dehnen und durch diese Dehnspannung in einen Zustand bringen, in dem die Wände Klangfrequenzen besser reflektieren und so verstärken können. Die Kunst ist dabei unter anderem, ein Gleichgewicht herzustellen, so dass die Stimmlippen nicht überanstrengt werden.